Chronische Schmerzen

Chronische Schmerzen: offene Kommunikation für mehr Verständnis

Schmerzen und Kommunikation: Zwei Frauen im Gespräch

Julia Kaufmann
MSc, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP Zentrum für Schmerzmedizin am Schweizer Paraplegiker Zentrum Nottwil

Kommunikation ist bei chronischen Schmerzen der Schlüssel zu mehr Verständnis, zu besseren Therapien und gesellschaftlicher Akzeptanz. Den Schmerz in Worte zu fassen, fällt hingegen vielen Betroffenen schwer.

Chronische Schmerzen sieht man den Patient*innen oft nicht an. Warum ist es so wichtig, darüber zu sprechen?

Julia Kaufmann: Patient*innen mit chronischen Schmerzen leiden manchmal ‹still›. Verzweiflung, Angst und Scham können damit zusammenhängen, die Betroffenen fühlen sich häufig unverstanden. Umso wichtiger kann es sein, dass sie offen über ihre chronischen Schmerzen sprechen, damit sie ernst genommen werden und eine bestmögliche interdisziplinäre Therapie erhalten.

 

Worte für chronische Schmerzen zu finden, ist nicht leicht. Wie nehmen Sie das wahr?

Kaufmann: Das ist sehr unterschiedlich. Für manche Betroffene ist es tatsächlich schwierig ihre Schmerzen und Körperempfindungen zu beschreiben. Manche leiden an diffusen Schmerzen, ohne dass diese genau lokalisiert werden können. Viele Betroffene fürchten sich davor, nicht ernst genommen zu werden, oder, dass ihnen bei einem fehlenden oder unklaren körperlichen Befund nicht geglaubt wird.

 

Werden chronische Schmerzen gesellschaftlich zu wenig anerkannt?

Kaufmann: Das ist leider vielfach ein Problem. In der Gesellschaft und im Gesundheitswesen muss ein Bewusstsein für die Komplexität chronischer Schmerzen geschaffen und die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung gestärkt werden.

«Grundsätzlich ist es wichtig, dem eigenen Empfinden Beachtung zu schenken, ihm achtsam und wertschätzend zu begegnen und es zu würdigen.»

JULIA KAUFMANN

In der Schweiz trifft man oft auf eine «Man muss stark sein» – Mentalität. Wie beeinflusst diese die Kommunikation bei Schmerzen?

Kaufmann: Eine solche Haltung kann dazu führen, dass die betroffenen Personen schmerzhafte Körperempfindungen oder die damit verbundenen Emotionen zu wenig berücksichtigen. Indem sie nicht oder erst spät über ihre chronischen Schmerzen und emotionalen Belastungen sprechen, kann eine frühe interdisziplinäre Behandlung, die auch nicht-medikamentöse Optionen aus der Psychologie und Physiotherapie beinhaltet, verzögert werden. Zugleich laufen die Betroffenen Gefahr, im Alltag über ihre eigenen Grenzen zu gehen.

 

Was kann den Patient*innen helfen, über ihre chronischen Schmerzezu sprechen?

Kaufmann: Vielen Betroffenen hilft ein sicherer Rahmen, in welchem sie über ihre Empfindungen sprechen können. Das kann ein Gespräch mit einer Fachperson sein, zu der ein gutes Vertrauensverhältnis besteht, eine Gruppentherapie mit anderen Betroffenen, oder ein Gespräch mit Angehörigen. Manchmal hilft es den Patient*innen auch, in Metaphern zu kommunizieren und dem Schmerz etwa eine Farbe zu geben.

 

Wie können Angehörige im Gespräch auf die Betroffenen eingehen?

Kaufmann: Indem sie gut zuhören, dem Gegenüber empathisch begegnen und versuchen, sich in seine Situation hineinzuversetzen.

 

Welche Vorteile können sich durch eine offene Kommunikation ergeben?

Kaufmann: Eine offene Kommunikation hilft in der Regel, ein gemeinsames Verständnis der Erkrankung und entsprechende Bewältigungsstrategien zu entwickeln – sowohl therapeutisch als auch in Alltagssituationen. Spricht man mit Angehörigen offen über seine Empfindungen und Möglichkeiten, kann ein grösseres Verständnis für die Situation geschaffen werden. Eine offene Kommunikation bei Fachpersonen wiederum ermöglicht einen besseren Zugang zu Informationen und Therapien.

 

Zu welchen Schwierigkeiten kann es in der Kommunikation kommen?

Kaufmann: Je nach Konstellation kann es sein, dass ein Verständnis trotz aller Offenheit nicht gelingt und man in einem Gespräch nicht das bekommt, was man sich davon erhofft.

 

Gibt es eine gute Balance zwischen «nicht über den Schmerz sprechen»und «nur noch über den Schmerz sprechen»?

Kaufmann: Über den Schmerz zu sprechen und auf die individuellen Belastungen einzugehen ist wichtig. Genauso wichtig ist es aber, die persönlichen Ressourcen zu stärken und sich auch darauf zu fokussieren, was Freude bereitet und einem gut tut. Man sollte also immer beides berücksichtigen.

 

Zum Schluss: Welche Tipps können Sie Betroffenen zum Umgang mit ihren Schmerzen und zur Kommunikation geben?

Kaufmann: Grundsätzlich ist es wichtig, dem eigenen Empfinden Beachtung zu schenken, ihm achtsam und wertschätzend zu begegnen und es zu würdigen – egal ob dies für Aussenstehende nachvollziehbar ist oder nicht. Es kann hilfreich sein, die eigene Lebenssituation zu reflektieren und sich seinen Bedürfnissen und Grenzen bewusst zu werden. Dadurch gelingt es klarer auszudrücken, was man möchte und was nicht. Manchmal kann es auch helfen, die Perspektive des Gegenübers – zum Beispiel der Partner*in – einzunehmen und zu sagen, dass man diese versteht, um dann gemeinsam eine Lösung zu finden.

Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 02.08.2023