Kopf­schmerzen

Starke Kopfschmerzen ernst nehmen

Kopfschmerzen Therapien: Frau mit Pflanzen
Kopfschmerzen Therapien: Experte Andreas Gantenbein

Prof. Dr. med. Andreas Gantenbein
Neurologe, Neurologie am Untertor, Bülach & ZURZACH Care, Bad Zurzach
Vorstandsmitglied der Swiss Pain Society & der Schw. Kopfwehgesellschaft

Sehr viele Menschen leiden an Kopfschmerzen. Meist sind sie harmlos und verschwinden mit traditionellen Hausmittelchen. Unter häufigen, starken Kopfschmerzen, in der Regel Migräne, leiden rund 100'000 Personen in der Schweiz. Diese Schmerzen sind ernst zu nehmen und gehören in ärztliche Behandlung. Mit einer multimodalen Therapie sind sie gut behandelbar.

Dr. Gantenbein, welche Arten von Kopfschmerzen gibt es und was sind häufige Ursachen?

Dr. Andreas Gantenbein: Wir unterscheiden bei den Kopfschmerzen primäre von sekundären Formen. Bei den Primären ist der Kopf selbst das Problem und die Ursache. Bei den Sekundären sind die Kopfschmerzen das Symptom einer anderen Störung oder Erkrankung. Der häufigste primäre Kopfschmerz ist der Spannungskopfschmerz, der bei 60 – 80% der Bevölkerung hin und wieder auftritt. Danach folgt die Migräne, die 10-20% der Bevölkerung betrifft.

Es gibt noch den dritthäufigsten «Cluster» Kopfschmerz. Er tritt typischerweise halbseitig und um das Auge konzentriert auf, kurz, aber häufig. Hier soll mit sehr rasch wirkenden Präparaten der Schmerz unterbunden werden. Trotzdem soll die ganzheitliche, multimodale Therapie nicht vernachlässigt werden.

Was sind Ursachen von primären Kopfschmerzen?

Gantenbein: Die Ursachen sind nicht immer genau bekannt. Netzwerkstörungen der zentralen Schmerzverarbeitung können ein Grund sein, oder auch Muskelverspannungen. Bei den sekundären sind es eben z.B. Infektionen, selten Tumoren oder akute Blutungen. Bei der Migräne wird angenommen, dass es sich um eine Störung des Zusammenspiels im «trigemino-vaskulären System» d.h. des Trigeminus-Kopfnerven, den Gefässen und der Schmerzverarbeitung in bestimmten Zonen des Gehirns handelt. Bei einer Migräneveranlagung können Betroffene auf Umgebungsreize überreagieren.

Die Migränebehandlung ist eine sehr personalisierte Therapie und es gibt nicht ein einziges Standardrezept. 

Prof. Gantenbein

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Kopfschmerzen?

Gantenbein: Mit Konzentration auf die Migräne spreche ich gerne von einer multimodalen Therapie mit drei Säulen. Die erste ist die Akutbehandlung mit Schmerzmitteln wie nicht-steroidalen Präparaten, Triptanen oder bald auch neuen Medikamenten. Im akuten Zustand ist es wichtig, sofort mit diesen Mitteln den Schmerz, resp. Das Feuer zu «löschen». Ein zweiter Pfeiler umfasst die medikamentöse Prophylaxe mit altbekannten Mitteln wie beispielsweise Betablocker, Antidepressiva, antiepileptischen Mitteln oder neuen Präparaten, sogenannten CGRP-Antikörpern, die direkt in das Stoffwechselgeschehen der Migräne eingreifen. Schliesslich sind eine ganze Reihe von nicht medikamentösen Massnahmen zu nennen, wie beispielsweise Entspannungsübungen, Ausdauersport, Akupunktur oder auch Neurostimulationsverfahren.  

 

Die Behandlung kann also mit diesen drei Komponenten individuell und massgeschneidert auf die Betroffenen zugeschnitten werden.

Gantenbein: Das trifft zu, die Migränebehandlung ist eine sehr personalisierte Therapie und es gibt nicht ein einziges Standardrezept. Das rührt auch daher, dass es sich um eine sehr heterogene Störung handelt, d.h. es können verschiedene schmerzbestimmende Ursachen im Spiel sein. Hierzu gehört auch, dass bei den Medikamenten darauf geachtet wird, dass sie zugrundeliegende Probleme gleich mit behandeln, also beispielsweise den hohen Blutdruck oder Schlafstörungen. Das verbessert auch den Erfolg der Migränetherapie.

Kopfschmerzen Therapien: Frau mit Pflanzen im Regal

Und beim Spannungskopfschmerz?

Gantenbein: In der Regel handelt es sich nicht um sehr starke, sondern eher sehr lästige Schmerzen. Darum sind die nichtmedikamentösen Behandlungen vorzuziehen: Entspannungstechniken, Sport, Kräftigungstherapie der Nackenmuskulatur, Haltungskontrolle und eine genügende Trinkmenge. Nur im äussersten Notfall sind Schmerzmittel angesagt. Sehr starke Spannungskopfschmerzen sind vermutlich eher Migräneattacken.

 

Wer häufig unter Kopfschmerzen leidet, sollte ärztlichen Rat einholen?

Gantenbein: Das würde ich absolut unterstützen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass vor allem die häufig von Migräne betroffenen Patient*innen – das sind rund 100'000 Personen in der Schweiz – sich haus- oder spezialärztlich regelmässig betreuen lassen. Damit kann auch einer Chronifizierung vorgebeugt werden. Als Faustregel der Tabletteneinnahme gilt die Zehntagesgrenze. Wer ohne ärztliche Anordnung häufiger als zehn Tage im Monat Akutmedikamente einnimmt, sollte sicher ärztlichen Rat einholen. Dies kann auch den nicht so seltenen, medikamentös bedingten Kopfschmerzen (MÜKs) vorbeugen.

 

Was raten Sie Kopfschmerz-Betroffenen zur Vorbeugung?

Gantenbein: Die multimodale Therapie ist auch eine gute Prophylaxe. Hier können die zweite und dritte Säulen der Behandlung gut eingesetzt werden. Regelmässige Tagesabläufe wirken sich vor allem bei der Migräne günstig aus, generell gewisse Lebensstil-Faktoren. Die Coaching App BalanceUP für Kopfweh-Betroffene kann hier unterstützen (vgl. Box). Es ist sehr wichtig, dass Betroffene wie auch ihr Umfeld die Kopfschmerzen ernst nehmen und dass eine Behandlung eingefordert wird.

Balance-UP

Die Coaching App BalanceUP beinhaltet ein digitales Lifestyle Coaching für Menschen, die an wiederkehrenden Kopfschmerzen leiden. Das Ziel ist die Förderung eines ausbalancierten Lebensstils bei Kopfschmerzen. Das Coaching ist Teil einer Studie und für die Teilnehmenden kostenlos.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 13.07.2022