Rücken­schmerzen

Rücken­schmerzen lindern mit elektrischen Impulsen

Neuromodulation: Vater und Tochter
Neuromodulation Experte Konrad Maurer

PD Dr. med. Konrad Maurer
Institut für interventionelle Schmerzmedizin Zürich, IISZ 
Präsident der Swiss Pain Society

Bei chronischen Rückenschmerzen lohnt es sich, ein spezialisiertes Schmerzzentrum aufzusuchen, um einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen. Neben anderen Methoden kann hier die Neuromodulation zur Schmerzlinderung beitragen.

Dr. Maurer, was ist ein neuropathischer Schmerz und wie entsteht er?

Dr. Konrad Maurer: Dazu muss ich etwas ausholen. Man unterscheidet zwischen dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem peripheren Nervensystem (PNS). Das ZNS umfasst die Nervenbahnen im Gehirn und Rückenmark. Zum PNS gehören alle Nervenbahnen und Schmerzsensoren im Körper ausserhalb des Rückenmarkes. Normalerweise beginnt das Schmerzsignal im peripheren Nervensystem. Wenn man sich beispielsweise in die Haut sticht, tut das weh. Dieses Schmerzsignal dient als Warnfunktion vor einem Gewebeschaden. Ist dieser Schaden eingetreten, dann dauert der Schmerz, bis der Schaden geheilt ist. Dieser Schmerz wird als nozizeptiver Schmerz bezeichnet.

Beim neuropathischen Schmerz hingegen ist im Gewebe alles normal ausser dem Nerv, der das Schmerzsignal weiterleitet. Die elektrische Membran dieses Schmerzleitungsnervs kann aufgrund einer Verletzung instabil sein. Infolgedessen wird der Nerv selbst zur Ursache der Schmerzsignale. Diese Art Schmerzen werden neuropathische Schmerzen genannt und auch als Nervenschmerz bezeichnet.

Neuromodulation: Neuropathische Schmerzen

Wie äussert sich neuropathischer Schmerz?

Maurer: Typisch sind Missempfindungen wie ein Druckgefühl, ein Gefühl wie eingespannt zu sein im Schraubstock und starke, brennende, bisweilen elektrisch einschiessende Schmerzen. Nervenschmerzen, beziehungsweise neuropathische Schmerzen, kommen leider recht häufig vor, bleiben oft lange unerkannt und können alle Körperregionen betreffen. Betroffene Patient*innen leiden oft erheblich und sind in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.

 

Wie wird die Diagnose gestellt?

Maurer: Bevor wir mit einer Schmerzbehand-lung beginnen, müssen wir herausfinden, wo das Schmerzsignal entsteht. Erst dann kann effektiv behandelt werden. Beispielsweise kann mit der gezielten Beeinflussung von Nerven beurteilt werden, welche Nerven beim neuropathischen Schmerz beteiligt sind. Dies geschieht beispielsweise mit einer lokalen Betäubung des Nervs. Diese Erkenntnisse beeinflussen die Wahl der geeigneten Behandlung.

 

Wie werden neuropathische Schmerzen behandelt?

Maurer: Grundsätzlich sollte bei schlecht kontrollierten chronischen neuropathischen Schmerzen ein spezialisiertes Schmerzzentrum oder Ambulatorium aufgesucht werden. Bei neuropathischen Schmerzen ist das Ziel die Stabilisierung der Nervenmembran. Dazu können spezielle Schmerzmittel eingesetzt werden, die jedoch oft gewichtige Nebenwirkungen haben, so dass sie nicht in der benötigten Dosierung eingesetzt werden können.

 

Welche Alternativen gibt es?

Maurer: Hier kommt die Neuromodulation ins Spiel. Sie behandelt direkt die schmerzleitenden Nervenbahnen. Der zugrundeliegende Mechanismus ist jedem Laien bekannt: Schlägt man sich die Hand an, wird reflexmässig die entsprechende Stelle gerieben oder gedrückt, oder bei Kindern geblasen. Dies reizt andere Nervensensoren. Diese leiten ein anderes, nicht-schmerzhaftes Signal weiter, welches das ursprüngliche Schmerzsignal bei der Umschaltung im Rückenmark mildert oder gar unterdrücken kann. Somit haben permanente Berührungssignale Vortritt und die Schmerzsignale das Nachsehen.

Dasselbe geschieht bei der Neuromodulation: Mit Elektroden werden schwache elektrische Impulse in der Nähe der Nervenwurzeln abgegeben. Diese Impulse überlagern die Schmerzsignale und reduzieren so den Schmerz. Stattdessen nimmt man ein angenehmes Kribbeln wahr, bei neueren Stimulationsformen spürt man gar nichts mehr.

 

Wie wird bei der Neuromodulation vorgegangen?

Maurer: Bevor der schmerzführende Nerv in das Rückenmark eintritt, verläuft er auf einer kurzen Strecke bereits innerhalb des Rückenmarkkanals. Bei der sogenannten Hinterstrangstimulationstechnik werden an dieser Stelle zwei stimulierende Elektroden eingeführt und der optimale Ort für die Schmerzbehandlung mittels Stimulation ermittelt. Steht die optimale Stelle fest, wo das Schmerzgebiet vollständig abgedeckt wird, werden die Elektroden fixiert, nach Ausserhalb des Körpers ausgeleitet und an einen externen Teststimulator angeschlossen. Sie «übertönen» mit ihren Impulsen fortan die neuropathischen Schmerzsignale.

Neuromodulation Wirkungsweise

Und wie geht es weiter?

Maurer: Während einer ein- bis zweiwöchigen Testphase werden die Signale der Neuromodulation aufgrund der Rückmeldungen der Patient*innen laufend optimiert. Falls während dieser Testphase die Schmerzen signifikant weniger werden, wird anschliessend in einer zweiten kleinen Operation der Stimulator fix unter die Haut implantiert und mit den gelegten Elektroden verbunden. Zuhause kann der Stimulator im Rahmen von ärztlichen Vorgaben mit einer Fernbedienung auch von den Patient*innen selbstständig verändert werden. So kann die Stärke der Stimulation je nach Tagesform individuell eingestellt werden.

 

Wie sieht es mit der Eignung und Verträglichkeit aus?

Maurer: Insgesamt wird diese Behandlung gut vertragen. Bevor die von den Krankenkassen übernommene Neuromodulation spruchreif ist, klären umfangreiche ärztliche und psychologisch/psychiatrische Untersuchungen die Eignung für eine solche Behandlung ab. Die Neuromodulation wird nicht bei akuten nozizeptiven Schmerzen eingesetzt, sondern bei ganz bestimmten Indikationen, zum Beispiel bei neuropathischen Schmerzen, die sich nicht von allein bessern können.

Oft geht zu viel Zeit für unwirksame Behandlungsmassnahmen verloren. Darum sollte man diese Therapieform viel früher einsetzen.

Dr. Konrad Maurer

Wann und wie erfolgreich wird diese Methode eingesetzt?

Maurer: Guten Erfolg hat die Neuromodulation bei Rückenschmerz-Patient*innen sowie bei Patient*innen mit ausstrahlenden Komponenten in Armen oder Beinen, bei welchen eine (weitere) Rückenoperation keine Besserung bringen würde. Gute Ergebnisse werden auch beim Morbus Sudeck oder bei schmerzhaften peripheren Neuropathien erzielt, beispielsweise als Folge eines Diabetes. In rund der Hälfte dieser Fälle kommt es zu einer mindestens 50prozentigen Verminderung der Schmerzzustände. Eine komplette Schmerzfreiheit wird es nur in seltenen Fällen geben, doch handelt es sich sicherlich um eine gute Alternative, wenn alle anderen bisherigen Massnahmen nicht erfolgreich waren.

 

Was liegt Ihnen bei dieser Therapie besonders am Herzen?

Maurer: Oft geht zu viel Zeit für unwirksame Behandlungsmassnahmen verloren. Darum sollte man diese Therapieform viel früher einsetzen. Der richtige Zeitpunkt ist sicher dann gegeben, wenn bisherige Massnahmen nicht weitergeführt haben. Die Vorteile der Neuromodulation liegen auf der Hand: Bevor das Gerät definitiv implantiert wird, kann die Methode getestet werden. Bei einem negativen Test wird nicht implantiert. Im Weiteren fallen die medikamentösen Nebenwirkungen der konventionellen Schmerztherapie, wie Müdigkeit, Abhängigkeit und andere körperliche Einschränkungen weg. Ebenfalls fallen unnötige chirurgische Eingriffe weg, welche die Schmerzsituation nicht zu beherrschen vermögen. Deshalb lohnt es sich bei chronischen Schmerzen in vielen Fällen, ein spezialisiertes Schmerzzentrum oder Ambulatorium aufzusuchen.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 02.08.2023