Chronische Schmerzen

Chronische Schmerzen – «Gemeinsam schaffen wir das!»

Chronische Schmerzen und Partnerschaft: Ein Paar beim Spaziergang
Chronische Schmerzen und Partnerschaft Experte Ben Brönnimann

DR. PHIL. BEN BRÖNNIMANN
Psychologe FSP
Eidg. anerkannter Psychotherapeut
Psychiatrische Dienste Aargau
Co-Leiter Special interest group Schmerzpsychologie der Swiss Pain Society

Chronische Schmerzen belasten oftmals auch eine Partnerschaft. Gemeinsam in Lebensbereiche zu investieren die Freude bereiten, kann eine grosse Entlastung sein und die Resilienz stärken.

Wie beeinflussen chronische Schmerzen Beziehungen?

Dr. phil. Ben Brönnimann: Hierbei gibt es verschiedene Aspekte. Grundsätzlich besteht bei Schmerzen der erste Reflex des Umfeldes: «Wir möchten unterstützen und helfen». Bei chronischen Schmerzen wird oft die angebotene Hilfe als wirkungslos wahrgenommen – dieser Kontrollverlust kann Betroffene und Angehörige empfindlich beeinflussen.

 

Welche Reaktionen sind typisch bei einem solchen Kontrollverlust?

Brönnimann: Jeder reagiert darauf unterschiedlich. Manche Angehörige finden sich in einer Überversorgung wieder und möchten sämtliche Tätigkeiten den Betroffenen abnehmen. Andere sind überfordert und verstehen die Betroffenen nicht mehr. Schmerzen sind schliesslich nicht sichtbar.

Die Patient*innen wiederum sind in einer Ausnahmesituation, die oftmals Müdigkeit, Frustration und Unverständnis mit sich bringt. Wenn die Hilfe der Angehörigen nichts ‹nützt›, kann das ebenfalls in Frustration münden oder gar negativ ausgelegt werden. Chronische Schmerzen können Beziehung stark beeinflussen und Konfliktpotential bergen.

 

Manche Patient*innen beissen auch einfach die Zähne zusammen und versuchen ihre Angehörigen zu schonen. Welche Gefahren birgt ein solches Verhalten?

Brönnimann: Bei chronischen Schmerzen kommt es manchmal vor, dass die Betroffenen nur noch durchhalten und versuchen, sich möglichst nichts anmerken zu lassen. Das Umfeld ist im Glauben, dass alles in Ordnung ist. Für die Betroffenen kann sich dadurch viel Druck aufbauen, der in einem Zusammenbruch enden kann. Auf Verständnis im Umfeld zu stossen ist dann manchmal schwierig, im Sinne von «so schlimm kann es ja nicht sein, wenn du nie etwas gesagt hast».

Bis zu einem gewissen Grad das aktuelle Leiden zu akzeptieren und gleichzeitig in Lebensbereiche zu investieren, die Freude bereiten, kann eine grosse Entlastung sein und die Resilienz stärken.

DR. PHIL. BEN BRÖNNIMANN

Gibt es bestimmte Herausforderungen, die im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen in Beziehungen häufig auftreten?

Brönnimann: Eine zentrale Herausforderung im familiären Umfeld, aber auch im therapeutischen Kontext, sind die Erwartungen. Die meisten chronisch Betroffenen kennen sich von früher in einer anderen Rolle – als leistungsfähig und fit. Sie wünschen sich nur eines: zurück ins alte Leben. Oftmals ist das bei chronischen Schmerzen wenig realistisch. Die Folge können Frustration, Trauer und nicht selten auch Gereiztheit bis Aggression sein. Eine weitere Herausforderung für Betroffene und nahe Angehörige ist es, die Balance zwischen dem Kampf gegen den Schmerz und die Investition in positive Lebensbereiche zu halten. Bis zu einem gewissen Grad das aktuelle Leiden zu akzeptieren und gleichzeitig in Lebensbereiche zu investieren, die Freude bereiten, kann eine grosse Entlastung sein und die Resilienz stärken.

 

Welche Rolle spielen Empathie und Mitgefühl in einer Partnerschaft, wenn einer der Partner chronische Schmerzen hat?

Brönnimann: Empathie und Mitgefühl sind enorm wichtig, wenn jemand eine dauerhafte Belastung hat. Mitleid hingegen ist häufig wenig zielführend. Vielmehr kann es für die Betroffenen hilfreich sein, wenn sie zu Aktivitäten motiviert werden und ihnen auch Anforderungen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, gestellt werden. So kann verhindert werden, dass Schmerzbetroffene in eine einseitige hilflose Rolle gedrängt werden. Beide Seiten der Partnerschaft dürfen ihre eigenen Bedürfnisse nicht vergessen. Jeder soll sich abgrenzen dürfen und muss deswegen kein schlechtes Gewissen haben.

 

Wie können Partner*innen lernen, besser mit den Schmerzen des anderen umzugehen?

Brönnimann: Eine bedürfnisorientierte Kommunikation zwischen der betroffenen Person und dem Umfeld ist entscheidend. Was wünschen sich die Betroffenen und wo sind die Grenzen? Welche Werte als Paar sind wichtig, auch mit den Einschränkungen der Schmerzen?

Nur wenn beide Parteien wissen, was möglich ist, kann ein konstruktives Miteinander gelingen. Das gilt übrigens auch für das berufliche Umfeld.

 

Welche Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten stehen chronischen Schmerzpatient*innen und ihren Partner*innen zur Verfügung,um ihre Partnerschaften zu stärken und mit den Herausforderungen umzugehen?

Brönnimann: Das kommt sehr auf die Partnerschaftsqualität an. Manchmal helfen kleine Dinge wie Komplimente, Umarmungen, gemeinsame Aktivitäten oder kleine Geschenke. Auch das Akzeptieren von Abgrenzung und mal einem gehässigen «nein» bei starken Schmerzen kann hilfreich sein. Es kann auch sinnvoll sein, eine Paarberatung in Anspruch zu nehmen oder im Austausch mit anderen Betroffenen zu sein.

Tipps zur Partnerschaft bei chronischen Schmerzen

  • Offen und bedürfnisorientiert kommunizieren
  • Gegenseitige Grenzen anerkennen
  • Bewusstwerden, was einem an der Beziehung wichtig ist
  • Haltung: beide machen das bestmögliche aus der Situation
  • Auf Schuldzuweisungen verzichten
  • Gemeinsame Interessen pflegen
Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 03.08.2023