Der Rücken liebt Bewegung!
Rita Morf
Physiotherapeutin MSc
Doktorandin
Die Physiotherapie behandelt gezielt Schmerzen des Bewegungsapparates. Um erfolgreich zu sein, werden Schmerzgeplagte immer ganzheitlich betrachtet. Der Einbezug der Lebensumstände und Persönlichkeit hilft der Physiotherapie ein individuelles Bewegungsprogramm zu entwickeln, das Schmerzen lindert und langfristig vorbeugt.
Welche Arten von Rückenschmerzen gibt es und was sind häufige Ursachen?
Rita Morf: Diese Schmerzen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die sogenannten spezifischen Schmerzen haben eindeutige Ursachen wie beispielsweise Frakturen, Tumoren, Anomalien sowie Verengungen des Rückenmarkkanals. Doch den grössten Teil mit rund 90 Prozent umfassen die „unspezifischen“ Schmerzen. Diese wiederum lassen sich in mechanische (ca. 70%) und nicht mechanische Rückenschmerzen (ca. 30%) unterteilen. Die mechanischen Schmerzen sind die sogenannten muskulo-skelettalen Schmerzen, die wir in der Physiotherapie viel beobachten.
Wo das Zusammenspiel von Muskeln und Skelett gestört ist und Schmerzen auslöst?
Morf: Das ist richtig. Wir prüfen dann die Körperhaltung, ob das als Ursache die Schmerzen begünstigt. Wir betrachten die Alltagsumstände der Schmerzbetroffenen im Büro, am Arbeitsplatz, zu Hause oder in der Freizeit. Entsprechend veranlassen wir dann spezifische Übungen zum Training oder der Verbesserung der Körperhaltung zur Verminderung der Schmerzen. Schmerzen können durch ein Zuviel oder ein Zuwenig an Bewegung entstehen. Am häufigsten und gut bekannt ist das Zuwenig an Bewegung. Wer plötzlich die Bewegung forciert kann aber durch eine Überbelastung ebenfalls Schmerzen provozieren.
Was sind die Ursachen von nicht mechanischen Schmerzen?
Morf: Hier stehen als Ursachen keine körperlichen Schäden im Vordergrund sondern die psychosozialen Faktoren, welche einen negativen Einfluss auf das Krankheitsgeschehen haben. Dies kann zur Chronifizierung der Schmerzen führen. Die Physiotherapie bezeichnet dies mit „Yellow Flags“.
Gelbe Flaggen, d.h. Angst-Vermeidungsverhalten, negative Bewältigungsstrategien oder Depressionen als Chronifizierungsrisiken?
Morf: Genau, es liegen dann keine klaren strukturellen Ursachen für die Schmerzen vor. Trotzdem empfinden Betroffene Schmerzen und wir nehmen sie ernst, da Schmerzen immer real sind. Darum ist es wichtig, die psychosozialen Umstände in die Behandlung einzubeziehen. Wir können mit geeigneten Fragebögen solche Chronifizierungsrisiken frühzeitig erkennen.
Was empfehlen Sie Personen, die unter akuten Schmerzen leiden?
Morf: Wir sehen häufig, dass sich Betroffene im akuten Schmerzzustand ohne fremde Hilfe für ca. ein- bis zwei Wochen behandeln. Im Vordergrund stehen individuell gewählte Hausmittel und Methoden oder Medikamente zur Schmerzlinderung. Das macht in der Regel Sinn. Nehmen die Schmerzen nicht ab oder werden stärker, dann sollte ein Arzt oder eine Ärztin aufgesucht werden. Anschliessend kann es bei unspezifischen Rückenschmerzen Sinn machen, sich physiotherapeutisch beurteilen, behandeln und begleiten zu lassen. In der Physiotherapie ist die Unterstützung und Begleitung der Patienten wichtig. Bereits der Hinweis, dass die Schmerzen nicht gefährlich und gut behandelbar sind, trägt zur Besserung bei.
Was können Patient*innen selbst tun, um Rückenschmerzen vorzubeugen oder zu lindern?
Morf: Grundsätzlich ist jede Form von Bewegung, welche dem individuellen Patienten Spass macht empfehlenswert, denn der Rücken liebt Bewegung. Damit werden Muskulatur und Stabilität verbessert. Denn häufig sind die schwachen Muskeln - oft infolge von ausschliesslich sitzenden Tätigkeiten - der Auslöser für Schmerzen. Wenn diese Strukturen dann zu schnell und intensiv belastet sind führt dies zu einer Überbelastung und es kommt es zu Schmerzen.
Grundsätzlich ist jede Form von Bewegung, welche dem individuellen Patienten Spass macht empfehlenswert, denn der Rücken liebt Bewegung.
Welche Übungen oder Programme empfehlen Sie?
Morf: Das ist sehr individuell. Es gibt nicht eine einzige spezifische Übung die hilft. Es geht darum, dass überhaupt etwas passiert, ob Yoga, Krafttraining mit Gewichten, ein geleitetes Fitnessprogramm oder auch Übungen zu Hause. Wichtig ist, dass diese Programme und Übungen an die Bedürfnisse der Betroffenen individuell angepasst sind und ihre Ausübung geschult und kontrolliert wird. Auch Schwimmen oder Joggen sind gute Möglichkeiten, wobei hier der Trainingsaufbau wichtig ist und langsam gestartet wird. Das gilt für alle Übungen, damit sich der Körper daran gewöhnen kann. All diese Bewegungsformen stärken den Rücken. Die Stärkung der Muskulatur geschieht jedoch nicht plötzlich, sondern braucht Zeit, nicht Wochen, sondern eher mehrere Monate.
Wo sind die Grenzen der Physiotherapie und an wen sollen sich Patient*innen dann wenden?
Morf: Handelt es sich um Schmerzen, die klar nicht von der Physiotherapie behandelt werden können, dann schicken wir die Betroffenen zurück zum Arzt. Dies ist auch der Fall, wenn die Schmerzen nicht bessern oder sich verschlechtern. Dann soll die Situation ärztlich neu beurteilt werden. Für die Physiotherapie ist es wichtig, die Schmerzbetroffenen ganzheitlich zu betrachten. Dies hilft, um der Chronifizierung der Schmerzen vorzubeugen.
Datum: 13.07.2022