CED

Schmerzen bei CED immer behandeln

Schmerzen bei CED: Frau spielt Gitarre
Schmerzen bei CED Experte Stephan Vavricka

PROF. DR. STEPHAN VAVRICKA
Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie FMH
Praxisinhaber Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie

Sieben von acht Patient*innen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) leiden vorübergehend, wiederkehrend oder sogar permanent an Schmerzen. Es ist enorm wichtig, dass diese Schmerzen schnell und gezielt behandelt werden, bevor sie sich verselbstständigen.

Prof. Dr. Stephan Vavricka: Warum haben Betroffene von CED Schmerzen?

Prof. Dr. Stephan Vavricka: Es gibt dafür viele Ursachen. So verursacht die Darmentzündung sogenannte viszerale Schmerzen. Zusätzlich leiden Betroffene häufig auch an Schmerzen ausserhalb des Darmes, insbesondere aufgrund von Gelenksentzündungen. Zu diesen sogenannten extraintestinalen Schmerzen gehören seltener auch Schmerzen der Haut.

 

Wodurch entstehen beispielsweise die Darmschmerzen?

Vavricka: Die bei CED anhaltende Entzündung führt zu einer Schwellung des Gewebes, da verschiedene Entzündungsmediatoren und Immunzellen in den betroffenen Bereich gelangen. Die Schwellung des Gewebes ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf die Entzündung und kann zu Schmerzen und Unbehagen führen. Ein akuter Schub kann diese Schmerzen verstärken. Zusätzlich können Fisteln, Verengungen und Abszesse in den betroffenen Darmabschnitten auftreten, die ebenfalls schmerzhaft sind. Kurz gesagt, die Entzündungen im Darm und die damit verbundenen Veränderungen im Gewebe sind die Hauptursache für die starken Bauchkrämpfe bei CED.

 

Unterscheiden sich die Schmerzen zwischen Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa?

Vavricka: Die Schmerzen unterscheiden sich im Darm lediglich in ihrer Lokalisation. Beim Morbus Crohn sind die Schmerzen eher im rechten Unterbauch lokalisiert und bei der Colitis Ulcerosa eher im linken Unterbauch. Die Schmerzen können aber im gesamten Bauchraum auftreten.

Ich rate immer, die Schmerzen zu behandeln, denn das Ziel ist die Schmerzfreiheit.

PROF. DR. STEPHAN VAVRICKA

Sind Schmerzen bei CED einfach ein zu ertragendes Übel?

Vavricka: Grundsätzlich gilt: Je besser die Erkrankung behandelt wird, desto geringer sind die Schmerzen. Darum ist es das oberste Ziel, die Krankheit bestmöglich in den Griff zu bekommen. Natürlich können auch Schmerzmittel eingesetzt werden. Ein Problem besteht allerdings darin, dass die gängigen gut wirksamen Schmerzmittel aus der Kategorie der NSAR (nicht steroidale Antirheumatika) nicht verwendet, bzw. verboten sind, weil sie einen Krankheitsschub auslösen können. Die Vereinigung Crohn/Colitis Schweiz hat dazu eine Liste erstellt. Dementsprechend werden Schmerzmittel aus anderen Kategorien eingesetzt. Auch Antidepressiva können schmerzlindernd sein. Falls diese Massnahmen nicht ausreichend wirken, können Opioide sehr restriktiv verschrieben werden. Dies ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, weil eine Abhängigkeitsgefahr besteht.

 

Bis zu welchem Punkt sollen Betroffene Schmerzen «aushalten» und wann sollte und kann etwas dagegen unternommen werden?

Vavricka: Ich rate immer, die Schmerzen zu behandeln, denn das Ziel ist die Schmerzfreiheit. Bei den Patient*innen ist oft verankert, dass sie Schmerzen erdulden müssen. Dies halte ich für einen falschen Ansatz. Die Dauer der Schmerzen unterscheidet sich bei den Betroffenen. Dabei kann der Schmerz nur Sekunden (17.4 %) oder Minuten (44.8 %) andauern. Oder über Stunden (27.4 %) und sogar Tage (10.4 %) anhalten, was besonders einschneidend ist.

 

Bei Letzteren besteht unbehandelt die Gefahr eines Teufelskreises, bei dem die Schmerzen sich verselbstständigen könnten.

Vavricka: Wenn die Schmerzen unbehandelt tagelang anhalten, besteht tatsächlich die Gefahr eines Teufelskreises. Das bedeutet, dass sich die Schmerzen verstärken und verschlimmern können. Der Körper gerät in einen Zustand, in dem die Schmerzsignale immer wieder verstärkt werden und die Schmerzen selbständig werden können, unabhängig von der eigentlichen Ursache. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass dieser Prozess stattfinden kann. Das heisst, je länger die Schmerzen anhalten, desto schwieriger kann es werden, sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Es ist daher wichtig, frühzeitig aktiv zu werden und die Schmerzen zu behandeln, um diesen Teufelskreis zu verhindern.

 

Gibt es weitere Behandlungsmöglichkeiten für die Schmerzen?

Vavricka: Ich betreue viele Patient*innen, die alternativmedizinische Methoden ausprobieren. Dazu gibt es auch viele Daten, welche die Wirksamkeit solcher Methoden belegen. Hierzu gehört beispielsweise die Akupunktur, bei der ich die Patient*innen unterstütze, wenn sie sich dafür interessieren. Zur Homöopathie gibt es leider fast keine wissenschaftlichen Daten, die eine Wirkung belegen. Erfolge erzielt die Body-Mind Therapie. Hier wird versucht, die Schmerzwahrnehmung zu verändern, sodass die Schmerzen als weniger stark wahrgenommen werden. Hypnose, Yoga und sogenannte Biofeedback-Methoden können ebenfalls in bestimmten Fällen erfolgreich sein.

 

Können soziale oder körperliche Aktivitäten den Schmerz positiv beeinflussen?

Vavricka: Dies ist sehr vom Zustand der Patient*innen abhängig. Die Einflüsse können positiv sein. Allerdings kann Stress oder zu viel körperliche Aktivität auch Schmerzen auslösen. Man darf bei diesen Aspekten nicht vergessen, dass das Hauptproblem aller Patient*innen der Stuhlgang ist, welcher von den Betroffenen nicht vorhergesagt werden kann. Körperliche Aktivität und soziale Kontakte müssen darum herum geplant werden und es muss in allen Fällen immer in Kürze eine Toilette erreichbar sein.

 

Kann die Einstellung den Patient*innen helfen, besser mit den Schmerzen umzugehen?

Vavricka: Ich unterstütze diese Vorstellung voll und ganz. Doch dazu braucht es meist professionelle Hilfe und es ist sehr schwer, gute Therapeut*innen zu finden. Trotzdem sollte man nicht den Mut verlieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die eigene Einstellung und Bewältigungsstrategien zu stärken. Selbsthilfe-Gruppen wie Crohn Colitis Schweiz und Online-Ressourcen können wertvolle Unterstützung bieten. Durch den Austausch mit anderen Betroffenen und das Erlernen von Techniken zur Schmerzbewältigung kann man neue Wege entdecken und die eigene Lebensqualität verbessern.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 03.08.2023