Chronische Schmerzen

Virtual Clinic – Nervenschmerzen über Telemedizin behandeln

Virtual Clinic Neuromodulation: Patient verbindet sich
Virtual Clinic Neuromodulation Experte Pascal Welpe

DR. PASCAL WELPE
Klinik Seeschau, Kreuzlingen

Nervenschmerzen können durch Neurostimulation gelindert werden. Mit einer seit kurzem verfügbaren App kann die Therapie nun aus der Ferne überwacht werden. Diese neueste Entwicklung stellt insbesondere für Patient*innen mit langen Anfahrtswegen oder in Notfällen eine grosse Hilfestellung dar.

Dr. Welpe, was ist Neurostimulation und welche Arten von Schmerzen können damit behandelt werden?

Dr. Pascal Welpe: Neurostimulation ist ein medizinisches Verfahren, bei dem elektrische Impulse ans Rückenmark oder bestimmte Nervenwurzeln abgegeben werden, um zum Beispiel Schmerzen zu lindern. Es handelt sich hierbei um ein System, das chirurgisch in den Körper implantiert wird, typischerweise werden hierfür dünne Kabel, die Elektroden auf der Rückseite des Rückenmarks oder der entsprechenden Nervenwurzel platziert und ein Impulsgeber, der Neurostimulator angeschlossen. Mit diesem können primär sogenannte Nervenschmerzen behandelt werden. Dazu gehören Schmerzen nach Rückenoperationen im Bereich der Wirbelsäule und mit Ausstrahlung in die Beine. Zusätzlich können zum Beispiel Nervenschmerzen bei einem Diabetes mellitus in den Beinen und Füssen, Nervenschmerzen nach einer Zytostatikabehandlung von Krebserkrankungen sowie auch bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit behandelt werden. Dies sind nur einige Beispiele für Indikationen, bei denen Neurostimulation eingesetzt werden kann.

 

Bei Neurostimulation wird vermehrt Telemedizin eingesetzt. Was ist Telemedizin und welches sind die Vorteile für Patient*innen?

Dr. Welpe: Die Telemedizin bietet die Möglichkeit, Termine mit Patient*innen aus der Ferne, also online, wahrzunehmen. In der Herzmedizin wird diese Technik schon seit längerem genutzt. Die Telemedizin erlaubt es, aus der Distanz auf Geräte wie beispielsweise EKGs oder Herzschrittmacher zuzugreifen, diese zu steuern oder Daten daraus auszulesen. Die Coronapandemie hat dieser Technik grossen Auftrieb verliehen und ihre Weiterentwicklung vorangetrieben. Auch in der Schmerztherapie wird diese technische Anwendung nun immer häufiger eingesetzt. Die Patient*innen können auf diese Weise zuhause fernbetreut werden. Damit entfällt der Weg zur Praxis oder Klinik. Dies kann insbesondere in Notfällen vorteilhaft sein. Ein Beispiel hierfür ist Abbotts Virtual Clinic.

 

Was ist die Virtual Clinic von Abbott?

Dr. Welpe: Die Virtual Clinic setzt sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen: dem Neurostimulator und einer speziellen App Diese App kann auf Geräten wie dem iPad oder iPhone installiert werden und ermöglicht es den Patient*innen, mit ihrer Praxis oder Klinik über Video in Verbindung zu treten. Gleichzeitig ist der Neurostimulator mit der App verknüpft, was den Ärzt*innen die Fernüberwachung, -steuerung und -auswertung des Geräts ermöglicht, um die Schmerzlinderung zu optimieren.

Die Technik birgt den grossen Vorteil, bei akut zunehmenden Schmerzen aus der Ferne schnell eingreifen zu können.

Dr. Pascal Welpe

In welchen Bereichen kommt die Virtual Clinic zum Einsatz?

Dr. Welpe: Grundsätzlich ist die Methode für alle Patient*innen geeignet, die eine Neurostimulation zur Unterdrückung von sogenannten neuropathischen Schmerzen, also Nervenschmerzen, benötigen. Sie müssen allerdings mit der Technik gut umgehen können. Ich betreue eine 93-jährige Patientin, die gut damit zurechtkommt. Gut geeignet ist die Anwendung insbesondere für Patient*innen, die weit entfernt von einer Klinik wohnen. Damit entfallen lange Anfahrtswege. Die Technik birgt zudem den grossen Vorteil, bei akut zunehmenden Schmerzen aus der Ferne schnell eingreifen zu können.

 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Patient*innen über die Virtual Clinic?

Dr. Welpe: Die Zusammenarbeit über die Virtual Clinic ist sehr unkompliziert. Zunächst vereinbaren wir einen Termin mit dem Betroffenen. Anschliessend verbinde ich mich zum vereinbarten Zeitpunkt mit dem Gerät meiner Patient*in und bitte um die Freigabe. Die Patient*in gibt auf ihrem Gerät die Berechtigung für meinen Zugriff frei und dann beginnt die Sprechstunde. Die Kommunikation erfolgt über eine integrierte Videoplattform.

In der Sprechstunde besprechen wir die individuellen Probleme und können die Daten des implantierten Stimulators überprüfen. Falls erforderlich, werden auch Anpassungen vorgenommen.

 

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Telemedizin in den nächsten Jahren entwickeln?

Dr. Welpe: Es gibt bereits mehrere Firmen, die die Neuromodulation anbieten. Es ist voraussichtlich nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Anbieter ihre Stimulatoren mit Fernsteuerung ausstatten werden. Die virtuelle Technik wird immer mehr medizinische Bereiche einnehmen. Hier gilt es, Erfahrungen zu sammeln, um die Vorteile zu nutzen und die Nachteile zu vermeiden.

Manuela berichtet von ihren Erfahrungen mit der Virtual Clinic

Meine Schmerzgeschichte reicht schon sehr weit zurück. Was mit einem Karpaltunnelsyndrom angefangen hat, entwickelte sich über die Jahre zu einem Morbus Sudeck und zu einem chronischen Schmerzsyndrom. Bereits seit 2006 lebe ich deswegen mit einem Neurostimulator, der mir sehr viel Lebensqualität zurückgegeben hat. Seit Anfang dieses Jahres kann der Stimulator auch aus der Ferne gesteuert werden. Ich muss nun nicht mehr jedes Mal nach Kreuzlingen fahren, sondern kann mich via Videocall mit Dr. Welpe verbinden. Auch wenn ich einmal in den Ferien bin, kann ich unkompliziert Kontakt aufnehmen und Dr. Welpe kann Einstellungen anpassen. Das ist einerseits sehr praktisch und gibt mir andererseits viel Sicherheit. Ich fühle mich freier mit der Virtual Clinic.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 02.08.2023